Mein erster Schultag

Natürlich wurde nicht ich am vergangenen Wochenende eingeschult, sondern mein kleiner Freund, mein Nachbar „Raketenbonbon“. Den Spitznamen hat er sich im letzten Jahr durch folgenden Dialog zwischen uns verdient:
Ich: Warner, was wünschst Du Dir denn zum Geburtstag?
Er: Raketen…nuschel nuschel
Ich: Was meinst Du?
Er: Raketen … nuschel nuschel
Ich: Ein Raketen … bonbon????
Er – schon ziemlich genervt: RAKETEN … nuschelnuschel
Ich: Raketenbonbon?? So was gibts?
Zwischenzeitlich kommt die Mutter dazu und „übersetzt“:
Raketenluftballon!
Ich: Ach soo … genauso ratlos wie vorher …. Trotzdem …

seitdem ist er mein „Raketenbonbon“ … und er geht nun tatsächlich schon in die erste Klasse und selbstverständlich wollten wir dabei sein. Wenn man keine eigenen Kinder hat, erfreut man sich am Aufwachsen der Freundes- oder Nachbarskinder umso mehr.

Die Aula der Grundschule in Norddeich war voll, es mussten noch Stuhlreihen angebaut werden, die Direktorin hat spielerisch durch das Programm geführt, unsere neue Pastorin Christiane Elster hat mit den Kindern gesungen und sie zum Schluss gesegnet, das war sehr berührend. Danach wurde dann jede Schülerin und jeder Schüler auf die Bühne gerufen.
Die Direktorin interviewte sie jeweils zu ihren Hobbys und Lernzielen bzw. ihren Berufswünschen. Das haben sie wirklich alle toll gemacht …stolz zeigten sie ihre großen Schultüten und ich musste unwillkürlich an meine Einschulung denken …
Leider konnte sich meine Mutti auch nicht mehr an den Ablauf damals 1972 in Neu-Isenburg, in der Albert-Schweitzer-Grundschule erinnern …
Hätte ich die heutigen Fragen beantworten müssen, wäre wahrscheinlich dieser Dialog entstanden:
Lehrerin: Dagmar, was willst Du denn in der Schule lernen?
Ich: Alles und vor allem besser lesen und schreiben oder so ähnlich …
<<Tatsächlich konnte ich schon ein wenig lesen und schreiben, nicht weil ich ein Superkind war, sondern, weil ich tatsächlich ziemlich wissbegierig und neugierig war und meine Eltern so lange genervt hatte, bis sie mit mir lesen und schreiben geübt hatten. >>
Lehrerin: Ja, da bist Du bei uns ganz richtig. Was willst Du denn mal werden, Dagmar?
Ich: Pastorin
<<Ja, das war lange Zeit mein ein absoluter Traumberuf, im Verlauf der vier Jahre in der Grundschule wurde dann irgendwann daraus: „Simultanübersetzerin bei der Europäischen Union“ … dieser Berufswunsch hat sich auch sehr lange gehalten, denn ich hatte immer schon viel Spaß an Sprachen und das politische Interesse bekam ich ja durch die ehrenamtliche politische Arbeit meiner Ma ebenfalls früh vermittelt. Irgendwann in der Oberstufe habe ich dann gedacht, dass ich gerne etwas „Eigenes“ machen würde, eine Firma gründen – womit? Keine Ahnung, damit war klar, ich müsste erst einmal eine kaufmännische Ausbildung machen. Mein ältester Cousin, der sehr sehr lange mein absolutes Vorbild war, den ich wie meinen großen Bruder geliebt und verehrt hatte, der studierte bereits schon einige Semester BWL in Köln. Vielleicht wäre das ja das Richtige. Meinen Herzenstraum Geschichte und Germanistik zu studieren, wagte ich nicht weiter zu denken, geschweige denn zu leben. Was sollte ich mit einem solchen Magisterabschluss werden? Lehrerin? Das wäre so gar nichts für mich gewesen, dachte ich. Journalistin? Dazu fehlte mir damals die Phantasie, schade, ich glaube, das hätte mir sehr viel Spaß gemacht. So habe ich mich dann für eine kaufmännische Ausbildung bei einer Spedition beworben. 1985 herrschte Lehrstellenmangel und so sah ich mich schon Bewerbung um Bewerbung schreiben, denn ich wollte unbedingt erst eine Ausbildung machen, um dann zu studieren. Ich startete also mit meiner ersten Bewerbung, der direkt eine Einladung zum Bewerbungsgespräch folgte. Lief doch … ich kann mich noch gut erinnern, dass ich den Personalleiter arg ins Staunen brachte, als ich ihn fragte, ob man auch einen Einsatz während der Lehre in einem der anderen Standorte der Spedition hätte … ich sah mich gedanklich schon in deren Büro in München … einige Wochen später kam die Absage, die allerdings telefonisch angekündigt wurde. Der Personalleiter rief mich an und meinte, ich solle entweder doch direkt anfangen zu studieren oder mir eine größere stärker international tätige Spedition suchen, ich würde bei ihnen versauern und das wollte er mir nicht zumuten, denn grundsätzlich wäre ich ihre erste Wahl … verrückte Welt … also fing ich an zu studieren … >>

Wie genau meine Einschulung verlief, weiß ich nicht mehr, meine Kindergartenfreundin Ines ging auf eine andere Grundschule, ich kannte niemanden, dass weiß ich noch. Und das ich schon ordentlich Schiss hatte bei aller Vorfreude auf das viele Wissen, das weiß ich auch noch. Ich hatte zunächst immer mal vor allem Schiss, was neu war. Das konnte sich meist dann innerhalb von Sekunden in Begeisterung bis hin zur totalen Euphorie wandeln, verursachte zuerst jedoch erst einmal Magengrummeln.
Ich weiß aber noch genau, dass ich sehr stolz war, dass mein heißgeliebter Papa bei der Einschulung dabei war. Da er schon zu diesem Zeitpunkt beruflich viel durch die Welt tingelte, war das absolut nicht selbstverständlich.

Und das ich 1972 eingeschult wurde, war auch nur möglich, da meine Eltern einen Antrag zur Einschulung gestellt hatten, denn ich bin im Oktober geboren und der Stichtag für das Einschulungsjahr waren die Jahrgänge 66 bis zum Juli oder August. Da ich ja relativ lang war für mein Alter, fiel ich körperlich schon mal bei den „älteren“ Kindern meiner Klasse gar nicht auf. Ich musste dann noch einen Test machen, den ich total albern fand, pipifax, naja und dann war auch klar, dass ich eingeschult werden durfte und zwar als Fünfjährige.
Leider habe ich durch unseren Umzug nach Mettmann am Ende der vierten Klasse jeglichen Kontakt zu meinen Mitschülern verloren und ein Klassentreffen des Abschlussjahrgangs hat es bisher auch nicht gegeben, wirklich schade … hätte mich schon interessiert, was aus dem ein oder anderen geworden ist. Trotz Stayfriends und vergleichbarer Portale hat man sich direkt wieder aus den Augen verloren.


Eins weiß ich aber auf jeden Fall auch noch, meine beiden Klassenlehrerinnen Frau Sievers und Frau Plesse waren tolle Lehrerinnen, die uns wirklich optimal für die weiteren Schulen vorbereitet haben. In Hessen hätten wir nach der Grundschule erst eine zweijährige „Förderschule“ absolvieren müssen, bevor man uns offiziell in die weiterführenden Schulen entlassen hätte.

Meine Eltern hielten davon überhaupt nichts, wie viele andere Eltern auch und hatten schon Alternativen gesucht, um diese Zeit zu umgehen. Da gab es wohl ein Gymnasium in Frankfurt mit einem sehr langen Anfahrtsweg und die Option in ein Internat zu gehen. Da ich alle Hanni und Nanni – Bücher verschlungen hatte und schon fast auswendig kannte, war das in meinen Augen für mich die beste Lösung – ein Internat. Leider oder Gott sei Dank ist es dazu nicht mehr gekommen, denn plötzlich stand ein Umzug nach Nordrhein-Westfalen an. In meiner neuen Heimat konnte ich direkt aufs Gymnasium wechseln und so war ich dann ab 1976 Schülerin des Städtischen Neusprachlichen Gymnasiums Wülfrath, das ich dann – ohne Sitzenbleiben – als Küken mit knapp 18 Jahren mit dem Abitur in der Tasche verließ.

An meine Schulzeit erinnere ich mich wirklich gerne zurück, ab der neunten Klasse war es dann jedoch nicht mehr so „lustig“ für mich. Mein Alter machte diverse Probleme, ich war immer die Jüngste und durfte selbstverständlich nicht so lange ausgehen wie meine Mitschüler. Selbst auf unserer Abschlussfahrt nach Straßburg konnte ich als einzige nicht mit ins Kino als ein Film ab 18 Jahre angeschaut wurde. In die Bar bin ich dann abends einfach mitgegangen und brauchte auch keinen Ausweis zu zeigen, im Gegensatz zu meinen älteren, jedoch viel kleineren Mitschülerinnen, denn ich gehörte ja zu den ziemlich langen Mädels meiner Stufe … dafür bekamen die dann ordentlich Ärger mit der Lehrerin, warum sie mich Küken denn mitgenommen hätten … Naja und dann gibt es noch die ein oder andere Anekdote aus dieser Zeit, die ich vielleicht mal zu einem anderen Anlass erzähle …

Also, mein lieber kleiner Nachbarsfreund Warner, wir wünschen Dir alles Liebe und Gottes Segen für Deinen neuen Lebensweg und viele lustige Erlebnisse auf die Du später dann auch gerne zurückblickst, wie ich es heute mal getan habe.